Interview mit LSBTIQ Marburg
Oliver Fourier: Wir sind hier bei der AIDS-Hilfe in Marburg. Vielen Dank, dass Ihr euch bereiterklärt habt, das Interview zu machen. Vielleicht nennt ihr erst mal euren Vor- und Nachnamen und für wen ihr aktiv seid.
Christian Kim: Genau mein Name ist Christian Kim, aber am liebsten Chris und ich arbeite hier für die Netzwerkstelle Mittehessen unter der Trägerschaft der AIDS-Hilfe Marburg und mache auch noch beim Safeway hier vor Ort mit.
Tia Maris: Ich bin Tia. Ich arbeite als Tia Maris auch bei der AIDS-Hilfe, ich bin Chris Assistenz. Aber Maris ist nicht mein bürgerlicher Nachname. Nebenher bin ich noch bei der Cheer Queer aktiv. Das ist das queere Partykollektiv in Marburg. Wir haben vor Corona immer Partys organisiert, so alle zwei bis drei Monate. Ich bin beim Ladyfest, das wollten wir ein Ladyfest in Marburg machen, auch mit einem queeren und queer-feministischen Anklang.
Oliver Fourier: Was sind denn so Ihre Ziele? Was wollen Sie mit der Arbeit erreichen, oder was wollt Ihr mit Eurer Arbeit erreichen? Was sind Schwerpunkte?
Christian Kim: Ich glaube, das sind ziemlich viele unterschiedliche. Schlussendlich kommt es zentral auf Community-Arbeit an, dort eben Projekte begleiten, Projekte auch selbst aufziehen und Öffentlichkeit dadurch schaffen. Ich glaube, das ist sehr wichtig und was bei politischer Arbeit auch immer mit hinzukommt, ist eine Art von Empowerment-Arbeit, und dass wir auch versuchen, Diskriminierung von LSBTIQ in die Öffentlichkeit zu tragen. Zu sagen, das ist immer noch existent, das ist immer noch wichtig und wir auch darüber sprechen müssen und wir dadurch, dass wir das ansprechen, das immer wieder thematisieren und problematisieren. Dadurch versuchen wir natürlich auch gegen diese Diskriminierung, die auch heutzutage noch vorherrscht, zu arbeiten. Das ist auch sehr wichtig und gleichzeitig auch neuen Personen ein Stück weit Freiraum zu geben, ein Stück weit auch zu sagen: „Hey, es gibt hier auch Leute, die politisch aktiv sind, das sind diese Gruppen und Initiativen. Da könnt ihr euch andocken, sie machen solche und solche Arbeit“ und insofern auch den Zugang zu Communities hier speziell zu gewährleisten und zu vereinfachen. Das ist auf jeden Fall auch ein wichtiger Teil der Arbeit, würde ich sagen.
Im Speziellen sind wir gerade, und das ist tatsächlich auch eines der Hauptfelder, mit dem wir uns in diesem Jahr auf jeden Fall beschäftigen, an dem Aufbau eines queeren Zentrums dran. Da sind wir sehr stark mit dabei und das ist auch etwas, was viel Kraft gibt, gerade, weil es ein bisschen schwierig ist wegen der Coronazeit, in der Prozesse verlangsamt werden. Wo man auch nicht ganz genau weiß, wann wir endlich mit einem Sekt anstoßen können und sagen: „Hey, das ist da!“ Auf jeden Fall freue ich mich darauf, sobald das da ist. Hast du was zu ergänzen?
Tia Maris: Ich habe tatsächlich nichts zu ergänzen. Chris hat sehr fein alles abgearbeitet. Für mich gibt es zwei Arbeitsbereiche innerhalb der Community und Außenwirkung. Innerhalb der Community geht es darum Zugriff zu erleichtern und Menschen in ihren aktuellen Problemen unterstützen, ihnen das Gefühl von Gemeinschaft und Gruppe zu geben. Nach außen hin die Arbeit, die politische Arbeit, die das Ziel hat, dass es den Menschen besser geht, dass Belastungen aufhören und Diskriminierung sichtbar machen und Regeln so anzupassen, dass sie besser funktionieren. Dazu machen wir sehr viele verschiedene Dinge, sodass es sehr breit und sehr vielseitig ist.
Oliver Fourier: Wie sieht denn so ein Arbeitstag aus?
Christian Kim: Unterschiedlich. Also ich glaube, ich habe bei der Netzwerkstelle vor zwei Monaten angefangen. Gerade aufgrund der Corona bedingten Pandemiesituation haben wir gerade sehr viel Meetings, also eben Online Meetings. Ich würde sagen, jede Woche gibt es mindestens zwei bis drei zwei Stunden Konferenzen. Sei es jetzt über die Netzwerkstelle, weil wir sind ja auch angedockt mit den anderen Netzwerkstellen in Hessen, mit denen wir auch zusammenarbeiten, dort Informationen austauschen, dort versuchen, gemeinsame Projekte aufzuziehen. Dann Meetings, auch im speziellen gerade zum CSD, wo auf jeden Fall auch viel Arbeit reingesteckt werden muss, weil wir uns überlegen müssen: „Okay, wie können wir trotz Corona versuchen, einen so wichtigen historischen Tag noch zu feiern, oder seien es andere Veranstaltungen oder Aktionen in die wir versuchen noch mal Arbeit reinzustecken und uns da Gedanken zu machen. Aber es geht auch ganz klar darum, Menschen innerhalb der Community treffen. Also, ich würde sagen, ein typischer Arbeitstag besteht bei mir aus zwei Treffen, und dann die alltägliche Büroarbeit von jetzt bearbeiten, zum Beispiel E-Mails beantworten. Bestimmte Projekte aufziehen, eventuell auch Pressemitteilungen schreiben, was jetzt auch gerade zum CSD passieren muss. In Bezug auf das queere Zentrum, das weiter aufzubauen, dort Arbeit reinzustecken, Konzeptideen auszuarbeiten und Projekte vorzuplanen, die dann stattfinden werden.
Tia Maris: Ich habe keinen stabilen Arbeitstag. Es gibt verschiedene Typen von Tagen, kann ich sagen. Es gibt nicht den Tag, der sich auf verschiedene Aufgaben, aufteilt. Es gibt verschiedene Aufgaben, die es an unterschiedlichen Tagen gibt. Es gibt die Plenumstage, sag ich mal, wo ein Treffen ansteht. Wenn das jetzt z.B. am Mittwoch ist, checke ich, dass alles vorbereitet ist. Vor Corona, physikalisch, ich habe Snacks bereitgestellt, Tee gemacht, den Raum Vorbereitung, geguckt, dass alles da ist, z.B. die Flipchart und andere Vorbereitungsarbeit. Teilweise auch dann das Plenum strukturieren und überlegen: „Hey, worüber reden wir eigentlich?“ Meistens noch mal mit Chris oder früher Tarek rücksprechen: „Hey, das sind unsere Punkte da, darüber müssen wir reden, das brauchen wir.“ Dann das Planum tatsächlich haben und meistens haben wir die Aufgaben Teilung, dass ich schreibe Protokoll, Chris, moderiert und nachher dann das, das Protokoll in ein Protokoll verwandeln, und das ist dann eigentlich schon ein ganzer Tag Arbeit. Protokoll mache ich meistens ein bis zwei Tage danach, aber es ist für mich ein Arbeitstag. Dann gibt's die Orga-Arbeit. Das ist von Dinge recherchieren bis hin zu Mail schreiben oder Snacks kaufen, alles was so organisatorische Tätigkeiten sind. Dann gibt's noch die wilden Eventtage, sag ich mal, das ist vom Streichen einer Wand im queeren Zentrum, über den CSD betreuen als tagesverantwortliche Person oder auf einem Workshop sein alles. Es kann alles sein.
Christian Kim: Die Arbeit ist sehr vielfältig. Man kann sich auch in der Arbeit echt schnell verlieren, weil du in so viele unterschiedliche Bereiche reingehen kannst. Beispielsweise kam gerade innerhalb der Netzwerkstellen, was ich einfach ein sehr spannendes Thema finde, weswegen ich auch Lust habe, mich damit mehr auseinanderzusetzen, kam das Thema auf, was ist denn mit LSBTIQ-Jugendlichen in Gefängnissen? Also wie sieht queere Arbeit in Gefängnissen aus? Das ist ein super spannendes Thema, finde ich, man kann prinzipiell in so vielen unterschiedlichen Bereichen arbeiten. Das finde ich auch großartig, dass man das machen kann.
Tia Maris: Was eigentlich sehr viel Arbeit gemeinsam hat, ist die Unterstützung von anderer Arbeit. Wir machen viel Arbeit auch selbst, wir bieten zum Beispiel auch Workshop an, aber ein erstaunlich großer Teil unserer Arbeit ist, Leuten dabei zu helfen, ihren Workshop anzubieten oder ihren CSD zu machen, zum Beispiel. Also, wir bieten eine Unterstützungsstruktur, damit Leute das machen können. Es ist so eine indirekte Ebene, weil wir wollen nicht die Community sein. Wir wollen die Community sein lassen und unterstützen. In anderen Worten Räume schaffen.
Oliver Fourier: Wie kam es denn dazu, dass ihr euch engagiert habt? Also gibt es da persönliche Gründe des Engagements? Wo gibt es da vielleicht biografische Verknüpfungen oder sozusagen einschneidende Erlebnisse?
Christian Kim: Spannende Frage. Also tatsächlich war ich schon sehr lange politisch aktiv, also das hat schon mit 13, 14 bei mir angefangen. Auf jeden Fall waren an erster Stelle die Gründe bei mir Rassismus und Armut, die mich politisiert haben. Die haben dazu geführt, dass das für mich auch nicht so eine Art von Wahl war. Das Gefühl hatte ich nicht, sondern das war ein: „Okay, ich muss, sonst komme ich nicht drauf klar.“ Ich musste irgendwie auch mich selbst empowern und erkennen, warum ist es so, und wie kann ich gegen Diskriminierung ankämpfen? Das war tatsächlich meine erste Politisierung, und das hat sich in Marburg auch durchgezogen. Erst war ich eher in antirassistischen Kontexten unterwegs. Gerade viel in gentrifizierungskritischen Kontexten, Recht auf Stadt, eben auf dieser Ebene. Ich bin außerdem bi-sexuell in einem kleinen Dorf aufgewachsen in Deutschland, abseits von einer migrantischen Herkunft zu sagen: „Hey, ich bin auch irgendwie gay“, das wäre, glaube ich, ein bisschen heftig gewesen im Nachhinein.
Oliver Fourier: Die Heteronormativität greift da schon voll durch. Deswegen gehen ja auch viele Leute in die Stadt.
Christian Kim: Deswegen war es auch sehr schön, nach Marburg zu kommen. Das war für mich etwas Befreiendes, zu erkennen: „Okay, ich bin nicht eine der wenigen Personen aus dem Dorf, die irgendwie links, progressiv denken, und die einzige Person, die dort irgendwie politische Arbeit macht und sagt, sondern es gibt noch ganz viele andere Menschen und Marburg war für mich echt quasi so ein: „Okay, hey, es gibt doch noch was!“ Das war auch der Zeitpunkt, wo ich mich „geoutet“ habe, was ich nicht so krass nach einem Outing angefühlt hat, weil ich mich einfach wohlgefühlt habe. Ich konnte einfach sagen, wer ich bin, und ich konnte halt sein, wer ich bin. Das war schön, doch erst tatsächlich in den letzten ein, zwei Jahren, würde ich sagen, habe ich angefangen, mich mehr mit Bisexualität, Homosexualität zu beschäftigen und hatte auch Lust, dort dann langsam einen Fokus ein bisschen zu verschieben und dort Arbeit reinzustecken. Und so bin ich auch durch Glück und Zufall hier gelangt.
Tia Maris: Teilweise klingt meine Geschichte super ähnlich, teilweise auch ein bisschen anders. Ich komme auch aus einem kleinen, kleinen Kaff in Bayern. Ich habe auch einen migrantischen Hintergrund, Oliver Fourier. Nee, ich bin, ich bin dritte Generation, also ich meine, mein Opa ist eingewandert.
Oliver Fourier: Aber keinen Akzent.
Tia Maris: Nee, ich bin dritte Generation, also ich meine, mein Opa ist eingewandert.
Oliver Fourier: Ich meinte jetzt bayrischen Akzent.
Tia Maris: Nee, so schlimm ist es doch nicht! Einen slawischen Akzent hätte ich cool gefunden, aber ich habe eher einen fränkischen Akzent. Ich bin da aufgewachsen und ich bin dann in die Gothic-Szene gekommen. Zu der Zeit war die Gothic-Szene super offen, also sie war sowohl antirassistisch als auch queer offen. Crossdressing war irgendwie super normal. Es hat niemanden interessiert, mit wem du Sex hast es haben halt Leute Partys rumgemacht, das machen sie auch woanders, und es war mir war ganz lange gar nicht bewusst, dass das ein größerer Freiraum ist. Was auch ein Bereich war, war sexuelle Befreiung. In der Gothic-Szene, in der ich war, war das ein relativ starkes Thema, weil die auf jeden Fall mit der BDSM-Szene verknüpft war und die eine freiere Sexualität lebt, die auch nach Regeln funktioniert, die auch teilweise seltsam sind, aber aus der Perspektive der Normalgesellschaft. Das ist sehr progressiv. Auch Armut ist so ein System, was dort relativ stark ignoriert wird, weil es geht von Punks, die praktisch auf der Straße leben oder knapp darüber, bis hin zu reichen Rechtsanwälten, und alle feiern zusammen. Oder es war so. Ich weiß nicht, wie es heute ist. Dann bin ich im Zuge von Umzügen immer mehr in diese, in diese Klima-Szene gekommen, weil ich habe Naturwissenschaft studiert und Philosophie. Da habe ich mich halt viel mit der Welt beschäftigt, wie sie funktioniert und mit Naturgesetzen. Und ja, Klimawandel ist die große Diskriminierungsverstärker unserer Zeit. Parallel bin ich schon ewig mehr oder weniger geoutet und führe da meine Kämpfe mit. Daher, ja, ich bin halt queer, und das ist halt so. Also, es ist nicht kein großes Ding. Daher ist es nicht politische Arbeit, es ist halt auch mein Freundeskreis. Warum habe ich angefangen, queere Partys zu machen? Weil die Party lange nicht stattgefunden hat und ich wollte, dass es wieder eine Party gibt, damit ich wie auf die Party gehen kann. Es ist auch keine wirkliche Wahl: Du kannst entweder leiden unter deiner Situation oder politisch aktiv werden. Wobei ich gerne noch hinzufügen würde, ich leide nicht unter der Situation, wer ich bin, sondern ich leide darunter, wie die Gesellschaft mich einschränkt in dem, wie ich bin. Das ist, glaube ich, bei allen Diskriminierungen relevant hinzuzufügen.
Oliver Fourier: Welche Menschen kommen denn zu Euch hier und vor allen Dingen, was sind so die häufigsten Probleme, mit denen sie konfrontiert sind? Und was würdet ihr so aus der Zeit, den ihr auch unabhängig von der Arbeit hier in der Hilfe?
Christian Kim: Welche Leute? Ich glaube, wir arbeiten mit unterschiedlichen Community Akteur*innen zusammen. Es gibt Menschen, die schon jahrzehntelang hier sind, also auch Strukturen, die jahrzehntelang hier sind, deswegen ist auch der Altersdurchschnitt höher. Es gibt aber natürlich auch, angebunden an autonome Referate, jüngere Menschen, wie wir eben. Die Probleme, die da sind, sind unterschiedlich, würde ich sagen. Ich glaube, eines der Hauptprobleme, die ich zumindest immer gesehen habe hier in Marburg, ist, dass es eine typische kleine Universitätsstadt ist. Alle drei Jahre wechselt irgendwie alles hier und es gibt keine Beständigkeit an Arbeit. Weil, die meisten Leute kommen hierher und dann ein Jahr machen sie irgendwie eine Party machen so ein bisschen Identitätsfindung.
Oliver Fourier: Studentische bzw. akademische Kreise?
Christian Kim: Ja, auf jeden Fall. Das würde ich sagen.
Tia Maris: Um da kurz einzuhaken: Ein bestimmter Bereich unseres Angebots, definitiv, aber nicht auf unser gesamtes Angebot.
Christian Kim: Ja, ich glaube, deswegen ist auch sehr schwierig, Menschen, die nicht akademisch sind, irgendwie anzusprechen. Also, das ist auf jeden Fall nicht nur bei uns ein großes Thema, sondern generell schwieriges Ding hier in Marburg. Dadurch, dass es eben keine Beständigkeit gibt, es ist immer so eine Fluktuation. Dann hast du Strukturen, die ein, zwei, drei Jahre wirklich großartige Arbeit leisten und dann brechen die Personen weg, und dann fluktuiert das wieder, und dann wird es wieder weniger, also immer hoch und runter. Das ist, meine ich, immer schwierig, weil eben nicht mehr diese Beständigkeit da ist, weil Leute weggehen. Das sehe ich tatsächlich hier in Marburg als eines der größeren Problematiken an, abseits dessen, dass es einfach ein großer akademischer Kreis ist und wir uns auf jeden Fall überlegen müssen, wie wir es schaffen, endlich mal anzudocken an nicht akademische Kreise. Seien es Schüler*innen oder eben Arbeiter*innen. Wir müssen uns das auf jeden Fall aktiv überlegen, wie wir das schaffen. Ich glaube, das schaffen wir auch erst, wenn wir versuchen, sowas wie einfache Sprache zu benutzen und auch abseits von universitären Räumlichkeiten zu sein und dort Bildungsangebote auch stattfinden zu lassen oder andere Möglichkeiten von Veranstaltungen. Ich glaube, dass es einfach sehr wichtig ist, sich dessen bewusst zu werden.
Tia Maris: Im Prinzip denke ich genau dasselbe. Es ist sehr verschieden, auch der Altersdurchschnitt. Was so ein bisschen auffällig ist, dass in dem Elternbereich ein Loch gibt. Es gibt so sehr großen Schwulenbereich, sage ich mal, bei den über 30-Jährigen und der lesbische, trans* beziehungsweise queer Bereich ist irgendwie sehr wenig vorhanden. Es scheint, dass die mit 25 bis 30 wieder verschwinden und sich unsichtbar machen, weil es natürlich auch der anderen Lebenssituationen geschuldet ist. Deswegen, zum Beispiel, suchen wir gerade eine Elterngruppe. Wir werden versuchen, da ein Queeren-Zentrum aufzubauen und haben da auch schon Connections.
Oliver Fourier: Wie unterstützt ihr die Menschen? Also was könnt ihr tun für sie?
Tia Maris: Wir haben die Black/PoC-Gruppe zum Beispiel, die gab es bereits, die waren Lose organisiert. Sie hatten aber das Problem, dass sie keinen Raum hatten, in dem sie sich treffen konnten. Ich weiß nicht genau wie, aber Tarek hat Kontakt mit denen bekommen, wahrscheinlich auch, weil er mit den Leuten selber in Kontakt ist. Dann hat er gefragt: „Hey wollt ihr das nicht bei uns machen.“ Ich kam dazu, in dem Zeitraum, als die eine Person brauchten, die die Tür aufmacht und dann Sachen hinstellt und wieder weg ist, bevor die Leute, die anonym bleiben wollen, kommen. In dem Moment waren die Bedürfnisse Anonymität und sich treffen können. Ich glaube, dieses sich treffen können in einem Raum, in dem keine Kontrolle ausgeübt wird, ist, womit wir am meisten helfen. Ich bin tatsächlich nicht so sehr mit den Leuten direkt in Kontakt, ich mache eher organisatorische, unterstützende Sachen. Direkte Hilfe habe ich, bevor ich hierhergekommen bin, gemacht.
Christian Kim: Wir sind ja an sich keine Antidiskriminierungsstelle. Leute können sich aber trotzdem auf jeden Fall an uns wenden. Das passiert auch manchmal, dass wir E-Mails bekommen oder bei Facebook Nachrichten und gesagt wird: „Hey, dies und dies passiert“. Da verweisen wir an erster Stelle an Antidiskriminierungsstellen, sagen aber auch: „Hast du Gesprächsbedarf ist das kein Problem. Sag uns einfach, wo wir uns treffen wollen und wann wir uns treffen wollen.“ Manchmal kommt es auch vor, dass Leute fragen: „Hey, ich bin zum ersten Mal hier in Marburg. Was gibt es denn für Queere Angebote? Könnt ihr uns vielleicht verweisen, an Gruppen und Initiativen, könnt ihr von denen was erzählen?“ Ich glaube aber, der Großteil der Arbeit, die wir machen, ist wirklich diese Community-Support Arbeit. Das ist ein großes Problem, gerade während der Corona Pandemie. Wie schaffen es örtliche Gruppen und Initiativen ihre Angebote oder ihre Meetings weiter stattfinden zu lassen? Und deswegen haben wir einen Queer-Button geschaffen, was quasi ein Online Tool ist, womit Veranstaltungen, Vorträge, aber auch Treffen stattfinden können. Das bieten wir Gruppen und Initiativen an, sodass sie das Tool nutzen können, sodass sie weiterhin Veranstaltung und Vorträge machen können online. Weil das war auf jeden Fall ein sehr großes Problem. Da hatten wir Gespräche mit den Communitystrukturen: „Was ist gerade das größte Problem?“ Da ging es eben darum, da es ja keine Andockungsmöglichkeit für neue Personen da ist und auch diese öffentliche Sichtbarmachung nicht mehr da ist. Wir haben versucht, versuchen jetzt immer noch aktiv, über diesen Queer-Button und dadurch, dass wir Community Zugänge verteilen, dort wieder ein bisschen Leben stattfinden zu lassen, auch wenn es online ist. Online ist nicht so schön wie sonst; Offline ist natürlich sehr viel schöner, sich gegenseitig zu sehen und sich umarmen zu können, aber das ist gerade so und man muss das Beste aus der Situation machen.
Oliver Fourier: Wo enden denn bei Euch die Möglichkeiten bei der Unterstützung? Also gibt es da Situationen, wo ihr sagt, da können wir jetzt nichts machen?
Christian Kim: Das ist eine sehr spannende Frage. Also ich würde sagen, diese klassische Antidiskriminierungsarbeit, dafür verweisen wir an andere Strukturen, sei es die Diskriminierungsstelle der Universität, falls es mit der Universität gekoppelt ist, falls es Student*innen sind, die sich an uns wenden. Oder an Response in Kassel, oder an die Antidiskriminierungsstelle von euch. Für diese klassische Antidiskriminierungsarbeit verweisen wir auf jeden Fall weiter. Weil die können wir in der professionellen Form, die wir auf jeden Fall nicht haben, so an sich auch nicht leisten. Es wäre, glaube ich, auch blöd, wenn wir sagen würden, dass wir das machen würden, weil da sehe ich die Zuständigkeit bei anderen Personen. Was ist noch, das sind eigentlich ganz viele Bereiche, schwierig zu beantworten.
Tia Maris: Ich hatte tatsächlich noch nie den Fall, dass eine Person mit einem Problem zu uns gekommen ist, wo wir sagen, wir können nicht helfen. Es gab Personen, die mit Problemen zu uns gekommen sind, bei denen man erstmal herausfinden muss, was eigentlich das Problem ist. Also zum Beispiel gab es Leute, die Veranstaltungen machen wollten, die grandiose Pläne hatten, was das alles werden soll, denen nicht so wirklich bewusst war, wie viel Arbeit es ist, eine Veranstaltung zu organisieren und die man erst mal runterstutzen musste und denen man sagen musste: „Hey, das ist realistisch, das geht, macht erst mal einen Testlauf, macht das klein und macht es dann größer.“ Aber auch das war eigentlich keine so große Sache. Ein Gespräch und dann ein bisschen Unterstützung beim Organisieren, und das war's.
Der Fall, bei dem wir nicht helfen können, ist der Fall, der sich nicht bei uns meldet oder die Leute, die nicht zu uns kommen. Du willst eine Veranstaltung machen, ist cool, aber wir können dir nur helfen, wenn wir wissen, dass du existierst und, dass du und deine Gruppe eine Veranstaltung machen wollen. Wir können dir keinen Raum anbieten, wenn du dich nicht meldest. Das ist tatsächlich auch ein Problem, was durch Corona massiv erschwert wurde. Du redest mit den Leuten und findest heraus: „Hey, ich habe hier ein Projekt. Das will ich eigentlich machen, aber ich traue mich nicht wirklich, das zu artikulieren. Dadurch, dass die Person eh schon mit mir redet, kommt: „Hey, ich habe da voll Bock, das zu machen. Cool, dass du das machen willst. Willst du es nicht in der AIDS-Hilfe machen oder über das queere Zentrum?“ Ganz viel Arbeit passiert in diesen persönlichen Gesprächen, nicht in den Arbeitsgesprächen. Das fällt leider gerade alles weg durch Corona. Wenn du dich online triffst, dann redest du nur über das Thema und nicht über: „Hey, was habe ich gestern mit meinen Menschen gemacht?“
Christian Kim: Ja, das Zwischenpersönliche fehlt gerade.
Oliver Fourier: Aufgrund welcher Merkmale werden denn Leute, die zu Euch kommen, diskriminiert?
Christian Kim: Dadurch, dass sie LSBT*IQ Personen sind, die nicht heteronormativ leben und sein wollen. Das ist beispielsweise an Klamotten feststellbar und dadurch findet Alltagsdiskriminierung statt. Beispielsweise sind auch People of Colour betroffen. Je nachdem welchen Background du hast, hast du ja noch auch andere Formen von Diskriminierung, die sich da zusammenmischen. Queere PoCs erleben eine andere Form von Diskriminierung, als weiße LSBT*IQ Personen und es gibt ja auch eine andere Diskriminierung, wenn schwul bist oder wenn du lesbisch bist. Das ist immer sehr unterschiedlich und diese Unterschiede, die muss man, glaube ich, sehen und betrachten, weil man damit dann arbeiten kann. Dadurch findet Diskriminierung statt und ich glaube, das Wichtige ist, zumindest im persönlichen, auch wenn wir nicht explizit in der Antidiskriminierungsstelle sind, untereinander, also mit Menschen, die Diskriminierung erleben, Diskriminierung, die im persönlichen Geschehen sind, anzusprechen. Auch einen „saferen“ Raum zu schaffen in dem darüber geredet werden kann, aber auch wütend zu sein und zu sagen: „Hey, das ist scheiße.“ Sich dadurch gegenseitig supporten zu können, das ist immer ein wichtiger Teil von politischer Arbeit.
Tia Maris: Es kommen auch Menschen zu uns, die gerade nicht wegen Diskriminierungserfahrungen kommen. E kommen immer wieder Menschen mit Diskriminierungserfahrungen, aber es ist eigentlich gar nicht der zentrale Punkt. Es ist ein Problem, das wir bekämpfen, aber es ist nicht der zentrale Punkt unserer Arbeit. Auch wenn es keine Diskriminierung gezielt gäbe, sondern sich Menschen einfach Communities wünschen, würden wir diese Arbeit machen. Es kommen auch Menschen zu uns, die Anschluss und Freunde suchen, die ihnen ähnlich sind, in denen sie sich verstanden fühlen mit ihrem Problem. Auch wenn du in einem super progressiven und freundlichen Umfeld bist; Die Probleme einer Transperson wird eine Cisperson einfach schwieriger verstehen und selbst wenn das Umfeld sehr positiv ist, gibt es Unterstützung, die sehr gut durch eine Community gegeben werden kann.
Oliver Fourier: Was glaubt ihr: Wie bilden sich denn Vorurteile gegen Homosexualität, gegen Queernes in der Mehrheitsgesellschaft? Wenn wir das Bau mit Stützpfeilern sehen, welche Stützpfeiler müssten weggehackt werden, damit das Gebäude zusammenbricht?
Tia Maris: Ich glaube nicht, dass das so einfach geht. Wir leben in einer Kultur, eine Kultur hat eine Geschichte und aus dieser Geschichte kommen Stereotype. Wir können nicht diesen Teil der Geschichte loswerden und dann wird alles besser. Es ist einfach so, dass Stereotype über Homosexualität basieren, über sehr viele Umwege. Zum Beispiel auf Griechenland vor über 2000 Jahren bezogen, wo Menschen Homosexualität teilweise auf eine Art gelebt haben. Wir haben Einflüsse aus dem asiatischen Raum mit drin und dann ist das ganze Jahrhunderte lang immer wieder verändert worden, dann kam Kolonialismus mit dazu usw. Also, es ist ein riesiger Mischmasch an Dingen. Zu sagen: „Das müssen wir ändern, dann würde es aufhören.“ daran glaube ich nicht.
Aber es gibt sicher so ein paar Dinge, wie man es einfacher machen kann, dass es sich natürlich verändert. Ich glaube nicht, dass du eine Veränderung erzwingen kannst. Es ist ein akademischer Gedanke, aber wenn man direkte Dinge, die das unterstützen, zum Beispiel gendergerechte Sprache oder darauf hinweisen, dass Pronom nicht alles sind, das würde helfen. Zum Beispiel ganz einfache Briefköpfe. Briefköpfe enthalten immer sofort einen gendering, ob du willst oder nicht, und auch Personen, die nicht gegendert werden sollten oder missgendert werden, bekommen immer so ein Briefkopf. Den Leuten einfach sagen: „Hey, du kannst auch einfach ‚Hallo, voller Name‘ schreiben.“ Das ist super simpel, aber es ist ein Element gendergerechter Sprache. Ich würde sagen definitiv Sprache. Dann, an Sprache anschließend, Kultur und letztendlich Medien. Menschen bilden sich ihr Weltbild über Medien. Diese Medien werden wiederum von ihren Ideen, Gedanken und Geschichte beeinflusst. Diese Geschichte überhaupt sichtbar zu machen: „Hey, du denkst nicht über Schwule so, weil du das über sie denkst, sondern weil es so und so war.“ Weil Menschen versucht haben Macht zu bekommen, indem sie entweder Menschen unterstützt oder ihnen geschadet haben. Oder allein die Tatsache, dass unsere Geschichtsbücher super schief sind, dass unsere Forschung in manchen Bereichen falsch fokussiert ist. Dann vielleicht noch der Bereich Wissenschaft, also tatsächlich Dinge erforschen und nicht nur eine Forschung aus der Community heraus. Also nicht nur wissenschaftliche Arbeiten über die Community aus der Community.
Christian Kim: Ich glaube, dass es sehr schwierig zu beantworten ist, weil alle Herrschaftsmechanismen, die wir haben, miteinander verschränkt sind. Ich würde immer noch sagen, das Patriarchat ist das Problem. Dass es Geschlechterrollenbilder gibt, wie Männer oder wie Frauen zu sein haben und, dass Männer und Frauen miteinander was haben müssen und alles andere ist böse. Das hängt hier in Europa auf jeden Fall mit Religion zusammen und hängt mit ganz vielen anderen Mechanismen zusammen. Das müssen wir nach und nach aufbrechen, und das ist ein langwieriger Kampf. Bald haben wir, der 28. müsste das sein, 51Jahre Stonewallaufstand, 1969 ist das geschehen, das sind 51 Jahre, die aktiv gekämpft wurden. Das ist immer wichtig, sich vergangene Kämpfe vor Augen zu führen und diese nicht zu vergessen und auch nicht zu vernachlässigen. Diese Geschichtsvergessenheit, die es in verschiedenen Bewegungen und Initiativen gibt, finde ich schade, weil man kann aus diesen Kämpfen lernen. Es hat sich vieles verändert, muss man ja auch zugeben. Gleichzeitig, wenn man betrachtet, dass es bis 1994 ungefähr noch einen Paragraphen gab, in dem gesagt wurde: „Okay, wenn schwule Männer miteinander Sex haben, ist es verboten, du wirst bestraft.“ Das ist krass, das ist nicht allzu lange her. Aber ja, es hat sich schon einiges verändert, es ist nur nicht genug. Insofern muss es irgendwie weitergehen. Veränderung findet erst mal im Kleinen statt und dann wird sich immer weiter verändert. Das ist natürlich meine Hoffnung, dass es so passiert. Das muss in vielen Bereichen, in quasi allen Bereichen, stattfinden. Auch im privaten Bereich muss es stattfinden, auch im persönlichen Gespräch, mit Freund*innen, die vielleicht nicht krass politisch aktiv sind. Falls irgendwas Blödes gesagt wird, diskriminatorisches, dass man sagt: „Das geht nicht, weil…“ dann versuchen zu erklären. Schlussendlich ist Politik meiner Meinung nach Öffentlichkeitsarbeit. Es geht immer darum in der Öffentlichkeit reinzugehen und zu sagen: „Das sind die Probleme. Das wollen wir ändern und das muss geändert werden!“. Das kann meiner Meinung nach auch nur durch Leute passieren, die in der Community sind. Menschen, die selbst von Diskriminierung betroffen sind, diejenigen, die dann auf die Öffentlichkeit einwirken müssen, statt eine Art von Stellvertreter*innen Politik, die sehr schwierig ist. Bezüglich Historie würde ich sagen, wie gesagt, 51 Jahre Stonewall, der Kampf geht weiter. Auch wenn jetzt gerade eine Art von Unsichtbarkeit von Queerem Leben gibt, auch wenn gerade bundesweit CSDs abgesagt werden müssen, wenn Demonstrationen nicht stattfinden können, bedeutet es nicht, dass wir weg sind, sondern wir sind immer noch da. Wir werden auf jeden Fall, sobald das mit der Corona Pandemie weg ist, wieder schöne Dinge machen.
Oliver Fourier: Ja wunderbar, das war ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das ausführliche Gespräch, die Infos und den Einblick in Eure Arbeit. Vielen Dank, dass ihr Euch die Zeit genommen habt.