Glossar - J – Jüdisches Leben in Deutschland

J – Jüdisches Leben in Deutschland

Jüdisches Leben in Deutschland gab es im Jubiläums-Jahr 2021 seit mehr als 1700 Jahren. Dennoch ist in der Mehrheitsgesellschafft und anderen Teilen der Bevölkerung nur wenig Wissen über jüdische Lebensweisen vorhanden. Jüdische Identitäten und Selbstverständnisse, jüdische – vor allem zeitgenössische – Kunst, Literatur, Musik, jüdischer Alltag, jüdische Traditionen, die Vielfalt der jüdischen Communities und ihre Diversität und Diskurse sind in Medien und Bildungsinstitutionen selten Thema. Persönliche Begegnungen sind häufig nicht gegeben, um diese Wissenslücke zu füllen. Das liegt vor allem an dem geringen Anteil der Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft an der Gesamtbevölkerung. Dieser wird auf ca. 225.000 Personen geschätzt, davon waren 2020 ca. 94.000 Mitglied in einer der rund 106 jüdischen Gemeinden und ca. 5.000 bis 6.000 Personen in einer der 26 Gemeinden der „Union progressiver Juden in Deutschland“. Aufgrund des kaum noch stattfindenden Zuzugs aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion und des demographischen Wandels ist die Mitgliederzahl jüdischer Gemeinden seit 2007 leicht rückläufig.[1] 

Dabei gibt es seit einigen Jahren wieder erste Absolvent*innen jüdischer Schulen, es gibt verschiedene religiöse Ausrichtungen, aber auch viele säkulare Jüd*innen, ein reges Kunst- und Kulturleben und auch neuere jüdische Zuwanderung z.B. aus Israel[2].

Kein Wunder also, dass sich viele – vor allem jüngere – Jüd*innen nicht angemessen wahrgenommen fühlen. Sie wollen nicht ausschließlich im Zusammenhang mit Shoah[3], Antisemitismus und Nahost-Konflikt verstanden und von der bundesdeutschen Erinnerungskultur vereinnahmt werden. Der Tatsache, dass jüdische Menschen in Deutschland noch immer nicht angst- und diskriminierungsfrei ihre Identität und ihren Glauben leben können - was z.B. an der Notwendigkeit deutlich wird, jüdische Einrichtungen in Deutschland polizeilich zu schützen - begegnen sie auf unterschiedliche Weise. Viele auch durch Verbündung mit anderen „Minderheiten“ und durch intensive Thematisierung der Diskriminierungsproblematik auf einer horizontalen Ebene. Andere problematisieren aber auch das Gefühl der Ausgrenzung und die Erfahrung von Bedrohung und Gewalt - nicht nur durch die "Mehrheitsgesellschaft", sondern auch durch andere marginalisierte Gruppen. Verschiedene beispielsweise islamistische oder nationalistische Gruppen des politischen Islam stellen eine reale Gefahr für Leib und Leben jüdischer Menschen dar. Andere als PoC (People/Person of Color – siehe „P“ in dieser Broschüre) gelesene Menschen sprechen ihnen die Erfahrung von Rassismus ab und sehen sie im Gegenteil pauschal als "Kolonisator*innen" und "Rassist*innen" an.  

Einige Links und Vorschläge zum Weiterlesen, -hören, -folgen:

 

[1]  https://mediendienst-integration.de/gruppen/judentum.html

[2] Siehe z.B.: https://www.deutschland.de/de/topic/leben/israelis-in-deutschland-interview-ueber-die-migration

[3] ‚Hebräisch = Katastrophe; Untergang; im Hebräischen ausschließlich verwendete Bezeichnung für die Massenvernichtung der Juden unter der nationalsozialistischen Herrschaft‘ https://www.duden.de/rechtschreibung/Shoah