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Interview mit Katharina Völsch Antidiskriminierungsstelle Universität Marburg

Maren Ampt: Sehr geehrte Frau Völsch, wir freuen uns sehr, dass Sie sich Zeit genommen haben für das Interview mit uns heute. Wir starten meistens so, dass die Interviewten sich selbst vorstellen sowie die Institution, für die sie arbeiten.

Katharina Völsch: Ja, mein Name ist Katharina Völsch. Ich leite die Antidiskriminierungsstelle für Studierende an der Philipps Universität Marburg seit 2019.

Maren Ampt: Was sind ihre Ziele, beziehungsweise was wollen sie mit ihrer Arbeit erreichen?

Katharina Völsch: Die Ziele oder die Aufgaben der Antidiskriminierungsstelle sind die unabhängige Antidiskriminierungsberatung für Studierende der Philipps Universität. Auch das Thema Diskriminierung und Diversität innerhalb der Hochschule besprechbar zu machen, auf die Tagesordnung zu setzen und den Dialog dazu anzustoßen. Was vielleicht als übergeordnetes Ziel zu verstehen ist, ist die Hochschule zu einem Ort zu machen, an dem alle Menschen, unabhängig von ihrer Religion oder von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung, sicher studieren können.

Maren Ampt: Das ist vielleicht schwierig zu sagen, da ihre Arbeit wahrscheinlich sehr vielfältig ist, aber können sie beschreiben, wie sie inhaltlich aussieht?

Katharina Völsch: Also, zum einen ist da natürlich die Antidiskriminierungsberatung. Das ist eine qualifizierte unabhängige Beratung für Personen, die Diskriminierung erlebt haben in den unterschiedlichen Bereichen der Hochschule, also Seminaren, Lehrveranstaltungen oder auch im Kontakt mit Verwaltungsangestellten. Darüber hinaus gibt es den Bereich Sensibilisierung und Bildungsarbeit. Bildungsangebote, die offen sind für alle Mitglieder und Angehörigen der Hochschule, also auch für die Beschäftigten. Dort werden Sensibilisierungsangebote zu unterschiedlichen Themen durchgeführt. Dann gehört natürlich auch noch als wichtiger Teilbereich die Öffentlichkeitsarbeit dazu, um das Thema Diskriminierung, Diskriminierungsschutz und Vielfalt in der Universität sichtbar zu machen.

Markéta Roska: Es gibt ja eine Richtlinie vom Kultusministerium nur für die Hochschulen. Vielleicht erzählen sie uns kurz etwas über die Hintergründe.

Katharina Völsch: Ja, gerne. Das HMWK, das Kultusministerium, hat 2018 die hessischen Hochschulen aufgefordert eine Richtlinie zum Schutz vor Diskriminierung für Studierende zu entwickeln oder zu adaptieren für die einzelnen Hochschulen und hat dazu eine Musterrichtlinie entwickelt, die dann an die Hochschulen verschickt wurde. Der Hintergrund ist, dass Studierende in der Hochschule nicht durch das AGG geschützt sind, das heißt, sie haben weder ein Beschwerderecht, noch können sie rechtliche Schritte einleiten, wenn sie Diskriminierung erleben innerhalb der Hochschule. Sie können sich zum Beispiel nicht beschweren über Diskriminierung von Seiten von Lehrenden. Um diese Schutzlücke zu schließen, hat das HMWK diese Musterrichtlinie entwickelt und hat die Hochschulen aufgefordert, selbst Richtlinien nach diesem Muster zu erlassen. Die meisten hessischen Hochschulen haben das auch bereits getan und haben diese Richtlinien unterschiedlich und für sich individuell ausgestaltet.

Markéta Roska: Und sie haben diese Richtlinie wahrscheinlich irgendwo auf ihrer Website?

Katharina Völsch: Genau die Richtlinie ist auf der Webseite der Antidiskriminierungsstelle der Uni Marburg zu finden, also uni-marburg.de/adis und dort ist eine Kompaktrichtlinie zusammengefasst. Da geht es dann darum, wer kann sich beschweren und wie läuft das Beschwerdeverfahren ab und dort kann man auch die Richtlinie im Wortlaut dann runterladen.

Maren Ampt: Können sie beschreiben, welche Menschen hauptsächlich zu Ihnen kommen, also welche Merkmale diese haben?

Katharina Völsch: Es sind, wie gesagt, Studierende und die Merkmale sind ganz unterschiedlich. Wenn man sich das mit einem statistischen Blick anschaut, dann passieren viele Diskriminierungserfahrungen aufgrund von rassistischen Zuschreibungen. Das ist sozusagen so ein Hauptthema, aber tatsächlich auch Geschlecht, also sexistische Diskriminierung. Was sich auch sagen lässt, ist, dass sich die Diskriminierung oder die Merkmale oft überschneiden. Also meistens handelt sich tatsächlich um intersektionale Fälle. Das heißt, nicht nur aufgrund eines Merkmals, sondern zum Beispiel eine Überschneidung von Rassismus und Sexismus, der vorgefallen ist. Das ist in den meisten Fällen so, dass da eben nicht nur ein Merkmal relevant war.

Maren Ampt: Welche Möglichkeiten haben Sie, die Menschen zu unterstützen? Was können Sie für sie tun?

Katharina Völsch: Erst mal in der Beratung ganz simpel da zu sein, zuzuhören, die Menschen ernst zu nehmen, ihnen zu glauben in ihren Erfahrungen und auch die Erfahrung ernst zu nehmen. Dann, ganz klassisch, in der Beratung ein Clearing zu machen, das heißt, gemeinsam zu gucken was überhaupt passiert ist und dann zu besprechen, was die Ziele der Ratsuchenden sind. Also was möchten die? Möchten die gerne, zum Beispiel, ein Beschwerdeverfahren in die Wege leiten? Dann unterstütze ich bei der Formulierung von einer Beschwerde, zum Beispiel, und auch in dem Beschwerdeverfahren unterstütze ich. Oder möchten die Ratsuchenden gerne ein Klärungsgespräch führen mit anderen Personen? Dann dieses Klärungsgespräch vorzubereiten und zu moderieren ist auch eine Möglichkeit. Das sind also ganz unterschiedliche Wege, mit denen den Ratsuchenden geholfen werden kann.

Maren Ampt: Gibt es Probleme, die immer wieder auftauchen? Bestimmte Fälle, die sehr ähnlich sind?

Katharina Völsch: Ja, wie ich gerade schon sagte: Rassismus ist ein wiederkehrendes Problem und das ist aber eher bezogen auf die Merkmale im Prinzip.

Maren Ampt: Wo enden ihre Möglichkeiten?

Katharina Völsch: Meine Möglichkeiten enden tatsächlich da, wo es um eine Rechtsberatung geht. Ich kann keine Rechtsberatung anbieten. Ich biete auch keine Beratung im Zusammenhang mit dem AGG an, das ist an einer anderen Stelle angegliedert. Was ich auch nicht anbieten kann, ist eine längerfristige psychosoziale Beratung, die über einen längeren Zeitraum geht. Was möglich ist und was auch schon vorgekommen ist, ist, dass Menschen mit unterschiedlichen Anliegen aber auch immer wieder kommen, also dass das Anliegen sich verändert, aber Menschen öfter in die Beratung kommen in unterschiedlichen Anliegen. Aber eine Begleitung über mehrere Jahre in einem Fall, die wirklich eine psychosoziale Begleitung ist, ist mir hier nicht möglich.

Maren Ampt: Haben sie Kooperationspartner*innen, an die sie verweisen können oder mit denen sie auch immer wieder zusammenarbeiten?

Katharina Völsch: Ich verweise sehr gerne an die Rechtsberatung des Ausländerbeirates, gerade wenn es um Dinge wie Aufenthaltstitel geht, das ist eine wirklich gute Einrichtung und da verweise ich sehr gerne hin. Ansonsten arbeite ich hier mit internen Beratungsstellen an der Hochschule zusammen, zum Beispiel mit der Servicestelle für behinderte Studierende, wenn es um das Thema Behinderung und chronische Erkrankungen geht. Da gibt es interne Beratungszusammenarbeit. Dann arbeite ich auch eng mit der Beratungsstelle Response zusammen, gerade wenn es um Fälle geht, die nicht nur im Hochschulumfeld passiert sind, sondern auch zum Beispiel im Wohnumfeld der Ratsuchenden und da machen wir auch schon mal, wenn das gewünscht ist, einen gemeinsamen Beratungsprozess.

Maren Ampt: Wo erfahren sie Hilfe und Unterstützung? An welche Stellen können Sie sich wenden?

Katharina Völsch: Was ich total wichtig finde, sind zum einen die Netzwerke, die es hier vor Ort gibt. Den Austausch mit Kollegen und Kolleginnen zu haben, die in einem ähnlichen Bereich arbeiten, wie zum Beispiel im AdiNet, die aus unterschiedlichen Beratungseinrichtungen kommen oder Einrichtungen, die sich mit dem Thema Diskriminierungsschutz beschäftigen. Das finde ich sehr hilfreich für den kollegialen Austausch. Ansonsten finde ich auch ganz wichtig für die Tätigkeit von Beratenden eine kontinuierliche Supervision zu haben, um darüber sprechen, über Fälle, über Handlungsmöglichkeiten, die da noch sind, über den Umgang mit schwierigen Situationen in Beratung zum Beispiel. Das ist ein ganz wichtiger Unterstützungspunkt.

Maren Ampt: Wie könnte die Arbeit des AdiNet Sie noch unterstützen? Gibt es etwas, das Sie sich von uns wünschen?

Katharina Völsch: Ich hätte den Wunsch ans AdiNet kontinuierlichen und regelmäßigen Austausch und Vernetzung der Akteur*innen vor Ort zu initiieren und zu begleiten. Das ist natürlich unter den Pandemieumständen super schwierig, aber wenn wir uns dann wieder in Person treffen könnten, würde ich mich sehr über solche Netzwerktreffen und solche Möglichkeiten zum Austausch freuen, in welcher Form auch immer, um auch auf der regionalen und kommunalen Ebene guten und nachhaltigen Kontakt aufzubauen.

Maren Ampt: Ja, das würden wir auch sehr gerne. Den Punkt würden wir sehr gerne erfüllen, mit freiem Austausch und Treffen, für alle. Wir hoffen, dass es bald wieder geht.

Katharina Völsch: Oder auch, zum Beispiel, Fachtage anzubieten. Das ist nicht die alleinige Aufgabe vom AdiNet, sondern da sind alle, die da mit drin sind und sich beteiligen, gefragt. Aber tatsächlich das, ich sag mal, zu initiieren.

Maren Ampt: Ja, das ist eine gute Idee, das ist notiert. Ansonsten haben wir jetzt noch eine persönliche Frage: Wie kamen sie dazu, sich zu engagieren, oder gibt es persönliche Gründe für Ihr Engagement?

Katharina Völsch: Ich habe mich eigentlich schon immer gesellschaftspolitisch engagiert. Das fängt irgendwie an im Teenager-Alter mit unterschiedlichen Themen und ich habe immer schon dieses gesellschaftspolitische Engagement gehabt, weil ich das sehr wichtig finde. Das ist eine Grundüberzeugung, für Menschenrechte einzustehen, für Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit von allen Menschen. Das ist eine ganz starke persönliche Grundüberzeugung, die ich habe und die ich auch lebe, auch in meinem Berufswerdegang. Ich habe Kulturwissenschaften studiert, um einen Einblick zu bekommen in unterschiedliche kulturelle Zusammenhänge, aber gar nicht um zu gucken: Wie machen das andere Menschen in anderen Ländern? Sondern: Welche kulturellen Unterschiede gibt es auch hier an dem Ort, an dem ich lebe? Aber immer mit einem neugierigen und interessierten Blick.

Dann habe ich lange Jahre als Bildungsreferentin gearbeitet für einen Träger der freien Wohlfahrtspflege und bin auch dort immer mit Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten konfrontiert gewesen in meiner Beratungstätigkeit und Bildungstätigkeit, wo es ganz viel auch darum ging, politische Bildung zu machen für junge erwachsende Menschen. Dann habe ich eine Ausbildung zur Social Justice Trainerin gemacht, auch vor diesem Hintergrund. Also habe ich mich immer weiter qualifiziert. Das ist so ein Zusammenspiel von der beruflichen Qualifikation und der persönlichen Überzeugungen und das gepaart mit eigenen persönlichen Erfahrungen von Ungleichbehandlung aus meiner Position heraus oder Positionierung heraus. Das sind unterschiedliche Dinge, die da zusammenspielen.

Maren Ampt: Jetzt haben auch schon die letzte Frage. Gibt es etwas, was sie den Zuhörer*innen gerne sagen würden, was bisher nicht im Gespräch zum Ausdruck kam?

Katharina Völsch: Was ich Menschen immer gerne mit auf den Weg gebe, ist, dass, wenn sie sich gegen Diskriminierung engagieren, es super wichtig ist, dass sie nicht aufhören sollen damit. Es gibt ja immer Höhen und Tiefen und es ist total wichtig, sich in einem Netzwerk dann Unterstützung zu holen, wenn man gerade mal irgendwie ein Tief hat, wenn man vielleicht nicht weiter weiß, oder wenn man frustriert ist. Dafür sind Netzwerke super wichtig, auch um sich gegenseitig solidarisch zu bestärken in dem eigenen Tun. Es ist total wichtig, sich zu positionieren und Haltung zu zeigen und für Menschenrechte einzustehen und dabei aber auch immer und die eigene Position zu reflektieren. Das finde ich auch einen ganz wichtigen Punkt.

Stets neugierig und lernend zu bleiben in diesem Engagement für Menschenrechte gegen Diskriminierung. Personen, die in die Beratung kommen, da merke ich oft, es fällt ihnen manchmal schwer oder oft schwer, den Weg in die Beratung zu gehen und zu sagen: „Mir ist Diskriminierung passiert und ich möchte jetzt dagegen aktiv werden“. Diese Personen zu bestärken und zu sagen, dass es ihr Recht ist und, dass es wichtig ist, dass sie alle Unterstützung erfahren, die möglich ist von unterschiedlichen Stellen und, dass sie nicht allein mit diesen Erfahrungen. Das finde ich ganz wichtige Punkte.

Maren Ampt: Das war auf jeden Fall ein super Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich genommen haben, und alles Gute für Sie.

Katharina Völsch: Vielen Dank, das wünsche ich Ihnen auch.