Offener Brief des Azubihilfenetzwerks
Sehr geehrte Menschen im Handwerk, Betriebe und Innungen,
Sehr geehrte Handwerkskammern (HWK) und Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH),
Sehr geehrte Bundesministerien (BMBF und BMWK) und Deutsches Handwerksinstitut (DHI), Vorsitzende aller demokratischen Parteien,
Wir, das Azubihilfe Netzwerk, wenden uns mit diesem offenen Brief an Sie und die Öffentlichkeit, denn die Zustände in der Ausbildung, im täglichen Arbeitsleben und in den Institutionen des Handwerks müssen sich dringend ändern! Wir alle sind uns einig über die Notwendigkeit junge Generationen für das Handwerk zu gewinnen, um vor allem dem akuten Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Das Handwerk kann nur für sich begeistern, wenn es stärkt und vielfältig ist.
Die allgemeine Situation von Auszubildenden im Handwerk ist erschütternd.
Azubis werden mit 3-6 € Stundenlohn als billige Arbeitskraft ausgebeutet und müssen oft unter rechtswidrigen Arbeitsbedingungen arbeiten. Für viele Arbeitende im Handwerk wird Schutzausrüstung nicht gestellt, über Gefahren nicht aufgeklärt, Überstunden gelten als selbstverständlich, Mobbing, Machtmissbrauch und Anschreien sind der traurige Alltag.
Die Behörden und Berufsschulen schauen weg.
Die Situation in den Berufsschulen und Betrieben ist oft sehr problematisch. Gesetzesverstöße und Missbrauch sind an der Tagesordnung. Da die Betriebe ein „privater“ Raum sind, bleiben Missstände oft über Jahre hinweg bestehen. In den Berufsschulen sowie in den Betrieben werden bedenkliche und diskriminierende Lehrpersonen nicht zur Rechenschaft gezogen.
Häufig sind die problematischen Zustände allgemein bekannt. Doch Auszubildende können sich an keine Stelle wenden, von der sie sicher sein können, dass sie unabhängige Unterstützung erhalten. Die enge Verflechtung von Handwerkskammern und den Innungen führt dazu, dass Azubis Benachteiligung am Arbeitsplatz oder in der Schule fürchten müssen, wenn sie sich (mit einer Meldung) an die HWK wenden. Hilfesuchende Azubis werden oft im Stich gelassen, denn die HWK stellt sich meistens hinter die Betriebe und bleibt untätig.
Diskriminierung verschlimmert die Belastung.
Die sowieso schon hohe Belastung im Handwerk wird durch Diskriminierung ins Unerträgliche gesteigert. Rassismus, Ableismus, Sexismus, ebenso wie viele weitere Formen der Diskriminierung,
sind im Handwerk allgegenwärtig. Diese extreme zusätzliche Belastung führt dazu, dass vielen Menschen der Zugang zum Handwerk verwehrt bleibt, sie ihre Ausbildung abbrechen oder das
Handwerk nach der Ausbildung verlassen. Dass es sich hier um strukturelle Probleme und keine Einzelfälle handelt, belegen die zahlreichen Erfahrungsberichte, die uns erreicht haben!
Ableismus, Sexismus und Rassismus im Handwerk sind Realität.
Rassifizierte Menschen, Frauen, Trans* & Nicht-Binäre Menschen & Menschen mit Behinderung sind täglich mit feindlichem Verhalten konfrontiert durch verbale Angriffe, physische Übergriffe oder unfairer Aufgabenverteilung. Sie werden von Kundschaft, Kollegium und Vorgesetzten nicht als gleichwertig anerkannt. Oft werden sie systematisch und mangels rechtlicher Aufklärung ausgebeutet, schlecht bezahlt und Gefahren ausgesetzt. Chancengleichheit & Berufswahlfreiheit fehlen. Ihnen werden Fähigkeiten und Kompetenzen abgesprochen. Inklusion kommt nicht vor. Viele dieser Menschen werden systematisch von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen ausgeschlossen und/oder in Bereichen eingesetzt, die unterbezahlt sind und mangelnde bis keine Aufstiegschancen, Arbeitssicherheit und Arbeitsgesundheit bieten.
Unsere Forderungen.
- Unabhängige Beratungsstellen, rechtliche Aufklärung & Unterstützung für Auszubildende!
- Ausbildungsbedingungen und -qualität verbessern.
- Ein angemessener und existenzsichernder Lohn für alle Azubis von Beginn an.
- HWK und Berufsgenossenschaft (BG) müssen Betriebe regelmäßig überprüfen.
- ZDH, HWK, BG, Innungen und Berufsschulen müssen ihre Verantwortungen wahrnehmen und Diskriminierung aktiv vorbeugen und sanktionieren.
- Vertretung von Azubis in Verwaltung und Politik mit Stimmrecht in Angelegenheiten, die Ausbildungsbedingungen regeln.
Die von uns geforderten Veränderungen haben Auswirkungen, die weit über unsere Ausbildungszeit und unser persönliches Interesse hinausgehen. Die Strukturen müssen sich ändern, damit Fachkräfte bleiben wollen, denn der Fachkräftemangel im Handwerk ist hausgemacht! Das Handwerk, die Betriebe und die gesamte Gesellschaft profitieren langfristig von besser ausgebildeten Menschen, die sich engagiert in ihrem Beruf einbringen können.
Die Zeit für Veränderung ist gekommen. Wir wollen unsere Forderungen umgesetzt sehen und gemeinsam an Maßnahmen zur Verbesserung der Missstände arbeiten. Wir sind die Zukunft des Handwerks, hört unsere Stimmen!
Das Azubihilfe Netzwerk