„Wassersportverein Hellas schließt Frau vom aktiven Rudern aus - Diskriminierungsvorwurf wird laut“

Ein Kommentar auf der Basis eines Artikels in der Gießener Allgemeinen Zeitung vom 06.06.2019

Wie gerne wird die Integration von Menschen mit Behinderung mit blumigen Worten bei den entsprechenden Anlässen beschworen und an die Adresse der fernen Zukunft herbei gewünscht. Und dann gibt es diese Episoden aus dem Alltag. Eigentlich einfache, schlichte Gesten von Zugewandtheit, unspektakulär, doch für alle Betroffenen von hoher symbolischer und menschlicher Bedeutung. Doch nicht immer kommt es dazu.

Anfang Juni berichtete die „Gießener Allgemeine Zeitung“ in einem Artikel von einer Seniorin, die nach einem Schlaganfall körperlich beeinträchtigt, beim WSV Hellas auf dem Wasser nicht mehr zum Ruder greifen darf. Was war geschehen?

Die 64-jährige war aktiver Teil einer Rudergemeinschaft im Verein. Dann ereilte Sie ein Schlaganfall und es blieb eine damit einhergehende körperliche Einschränkung. Sie konnte weiter den Sport ausüben und wurde gebeten zu ihrer Sicherheit auf dem Wasser eine Schwimmweste zu tragen - was Sie tat. Sie berichtet der Zeitung, dass Sie gegenüber der Zeit vor dem Schlaganfall schneller ermüdete. Für Patient*innen nach einem Schlaganfall – je nach Schweregrad – alles ganz normal.

Die Rudergemeinschaft machte anfangs ihrem zweiten Wortstamm alle Ehre und zeigte praktische Solidarität. Doch nach der Winterpause erhielt die Frau vom Vereinsvorstand die Mitteilung vom aktiven Rudern ausgeschlossen zu sein. Wie kam es dazu?

Ein Sprecher des Vorstandes des Vereins erläuterte den Schritt mit „Sicherheitsbedenken“ gegenüber der Zeitung. Vereinskolleg*innen wären im Rahmen eines geselligen Beisammenseins auf ihn zu gekommen und hätten das Thema angeschnitten.

Eine Begleiterin und Mit-Ruderfrau der betroffenen Seniorin nennt es diskriminierend. Der Vorstand distanziert sich von dem Vorwurf.

Es gibt verschiedene Aspekte in dem Vorgang, die den Diskriminierungsvorwurf nahelegen.

Da ist zum Beispiel die paternalistische Vorgehensweise des Vorstandes. Warum hört er sehr einseitig auf die „besorgten“ Ruderkollegen im Verein? Und trifft ausschließlich auf dieser Basis eine Entscheidung? Zur völligen Überraschung der Seniorin.

Wäre ein Gespräch am runden-Tisch zusammen mit allen Beteiligten des betroffenen Boots nicht von Beginn an, der richtige und offene Weg im Umgang mit der Situation gewesen? Es gab wohl verschiedene Wünsche und Interessen unter der Bootsgemeinschaft. Man kann es sich vorstellen. Eine Gruppe, die gerne ambitioniert sportlich rudern möchte. Und eine andere Fraktion des Bootes, für die der Gemeinschaftsgeist und das Beisammensein im Vordergrund steht. Die Rudergemeinschaft scheint nicht das Herz gehabt zu haben, die Seniorin um ein Gespräch zu bitten und nicht in der Lage gewesen zu sein über ihre auseinanderlaufenden Vorstellungen in der Ausübung ihres Sport miteinander reden zu können.

Doch genau dafür ist ein Vorstand da. Und ein guter Vorstand qualifiziert sich dadurch, dass er für solche Konflikte Wege findet mit denen alle Betroffenen insbesondere danach einvernehmlich leben können. Zur Not auch durch Hilfe von außen (z.B. Mediation). Das ist die Kunst!

Die Art und Weise wie die Entscheidung aktuell herbeigeführt worden ist, ist in der Tat „Respekt-, würde-, taktlos und feige“ und „Diskriminierung Behinderter“ (GAZ, 06.06.2019). Sie degradiert erstens die Betroffene herab zu einem Wesen, dass nicht mehr die intellektuelle Fähigkeit besitzt ihre eigene Situation bei der Ausübung ihres Sports richtig einzuschätzen. Und zweitens, der paternalistische und diskriminierende Akt eine Entscheidung durch Verordnung „von oben“ zu treffen ohne Einbeziehung der bzw. aller Betroffenen. Sowie zuletzt noch flankiert von der Schutzbehauptung der „Sicherheitsbedenken“. Das ist geradezu ein Musterbeispiel von Diskriminierung und Paternalismus gegenüber Behinderten und völlig inakzeptabel.

[Quelle: „Wassersportverein Hellas schließt Frau vom aktiven Rudern aus - Diskriminierungsvorwurf wird laut“ von Karen Werner, veröffentlicht in der Gießener Allgemeine Zeitung-online am 06.06.2019, 13:40 Uhr, Link: https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/giessen-hessen-wassersportverein-hellas-schliesst-frau-aktiven-rudern-diskriminierungsvorwurf-12354281.html#idAnchComments , Kommentar: Oliver Fourier]