Feminismus und Kopftuch

Intersektionaler Feminismus - Kopftuch und Tabu

Seit Jahren beißen sich feministische Lager am Thema Kopftuch fest. Problematisch ist nicht nur die pauschale Kritik der Generation Alice Schwarzer.

Im Rahmen des Bundesfrauenkongresses der Grünen vergangene Woche in Leipzig ist ein Streit zwischen der Frauenbewegung der zweiten Welle sowie der dritten, jüngeren Welle von intersektional ausgerichteten Feminist*innen entfacht. Feministische Kreisverbandsmitglieder der Grünen schrieben einen offenen Brief an den Bundesvorstand, der vor Beginn des Zukunftskongresses von der Emma-Redaktion online veröffentlicht wurde. In dem Brief wurde
u. a. kritisiert, dass es angesichts der Teilnehmer*innenauswahl auf dem Kongress gar nicht um Feminismus gehen könne. Kritisiert werden differenzfeministische Ansätze als „abgewürgter Feminismus“ und „Solidarität mit Unterdrückung und Opferkult“.

Auch andere Stimmen aus dem Umfeld der Grünen echauffierten sich im Vorfeld via Face­book über das Kopftuch der muslimischen Bloggerin Kübra Gümüşay, die unter den Speaker*innen im Kongress saß. „Kopftuch und Feminismus“ stünden „im diametralen Widerspruch zueinander“, „Vertreterinnen des politischen Islam gehörten nicht zum Feminismus“.

 

Nun kennen wir solche Art Kritik am Kopftuch von der zweiten Generation von Feminist*innen in Deutschland bereits. Seit Jahrzehnten wird er hauptsächlich von Alice Schwarzer geäußert, auf eine oftmals einseitige und bevormundende Weise unpräzise formuliert und auf alle Kopftuchträger*innen der Menschheit pauschal angewandt. Auch Frauen mit migrantisch-muslimischem Background wie das ehemalige Femen-Mitglied Zana Ramadani oder die Soziologin Necla Kelek ordnen sich bekanntlich in diese Reihen ein. Im Grunde genommen könnte man diese Kritik wieder einmal in die Schublade des sogenannten westlich kodierten, Schwarzer’schen Feminismus einordnen und weiter­ignorieren.

 

So einfach ist es aber eben nicht. Seit Jahren beißen sich beide feministischen Lager am Thema Kopftuch fest. Die einen pauschalisieren es als ausschließliche „Flagge des Islamismus“ und bedienen dabei antimuslimische Ressentiments. Die anderen sehen nur die Emanzipationsgeste in ihr und verharmlosen andere, für die Betroffenen sehr schmerzhafte Varianten. Die Wahrheit aber liegt dazwischen.

Mittlerweile lebt die dritte und vierte Generation der Nachkommen von Migrant*innen in Deutschland. Unter den Muslim*innen hat sich eine kleine Gruppe von jungen, größtenteils akademisierten Muslim*innen herauskristallisiert, die sich als deutsche Muslim*innen bekennen und zu islam- und migrationsbezogenen Themen die Stimme erheben. Ein großes Problem stellt die unkritische Haltung vieler dieser jungen Menschen gegenüber Islamismus dar.

 

Queerfeindliche Agenda

Eine bittere Realität ist aber auch, dass islamische Verbände und Organisationen in Deutschland (wie die Ditib, IGMG oder Atib) durch ihre islampolitische Agenda strukturell nationalistisch, frauen- und queerfeindlich und antisemitisch gefärbt sind. Diese Verbände haben in der Vergangenheit gezielte Vorarbeit bezüglich Mitgliederservice geleistet, indem sie diese junge Generation von Muslim*innen durch jahrzehntelange Jugend- und Erwachsenenarbeit verlässlich in ihre Strukturen eingebunden haben. Es liegt also in der Hand dieser jungen Menschen, vor allem der Frauen, solche islampolitischen Strukturen im emanzipatorischen Sinne zu hinterfragen.  Weiter

[Quelle: Ein Artikel von Reyhan Şahin in der taz.de vom 20.09.2018]

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